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Fluchpsalmen: Darf man so beten?


Da bittet jemand Gott darum, den Feinden die Zähne im Mund zu zerbrechen (Psalm 58). Oder jemand spricht davon, dass die Arme der Frevler zerschmettert werden (Psalm 37). Es ist nicht zu bestreiten: In den Psalmen finden sich Verse mit aggressiven und gewalttätigen Aussagen. Wie kommt denn so etwas in die Bibel? Rufen solche Verse nicht geradezu zu Hass und Vergeltung auf? Wie geht das denn mit dem Gott der Liebe und Versöhnung zusammen?

Im katholischen Stundengebet hat man daher – um jeder Irritation der Gläubigen vorzubeugen – nach dem II. Vatikanischen Konzil solche Verse aus dem Psalter entfernt. Es mag dafür gute pastorale Gründe gegeben haben. Die benediktinischen Klöster haben das jedoch nicht getan. Die Mönche und Nonnen sprechen auch heute noch alle Psalmen mit allen Versen – auch solche wie die oben genannten. Es scheint dafür in der Tat gute Gründe zu geben:

  1. „Fluchpsalmen“ zu beten kann ein Zeichen der Solidarisierung mit Menschen sein, denen Unwürdiges zugemutet wird.

Unsere Welt ist nicht heil. Es gibt Menschen, die unschuldig Gewalt und Übergriffe erleiden. In ihrer Hilflosigkeit schreien sie ihre Wut und ihren Zorn heraus. Gerade diese (vielleicht anstößigen) Stellen zeigen, wie nahe die Psalmen am Leben solcher Menschen sind. Für jemanden, der nicht in dieser Situation ist, ist es sehr leicht, solche Verse zu streichen. Aber vielleicht ist es ganz gut, wenn wir durch solche Verse das Schicksal unterdrückter Menschen nicht aus dem Blick verlieren.

  1. „Fluchpsalmen“ können uns helfen, zu unseren dunklen Gefühlen zu stehen.

Es ist nicht immer möglich (und wahrscheinlich auch nicht sehr gesund), jede Ungerechtigkeit im Leben passiv hinzunehmen. Reaktionen wie Wut, Zorn und sogar Rachegefühle gehören zu unserem Menschsein dazu – auch wenn wir meist dazu neigen, diese Teile zu verleugnen oder zu verstecken. Manchmal ist es gut, wenn Wut und Zorn in Worte gefasst und an ein Gegenüber gerichtet werden können. Auf jeden Fall besser, bevor sich solche Gefühle aufstauen und sich dann in einer Affekttat entladen.

  1. „Fluchpsalmen“ können den Glauben an den Gott der Gerechtigkeit stärken.

In den Psalmen wendet sich der betende Mensch mit allem, auch mit seiner Wut und seinem Zorn über das Unrecht dieser Welt, an Gott. Indem er diese Gefühle ausgerechnet Gott gegenüber benennt, wendet sich an den, der ein Anwalt der ungerecht Behandelten und Unterdrückten ist. Er verzichtet auf Selbstjustiz und hofft darauf, dass Gott das letzte Wort haben wird – gegenüber allen, die sich nicht darum scheren, was sie anderen Menschen an Leid antun.

Guido Groß

Klage- und Fluchpsalmen

„Das Bezeichnende am Schmerz und an der Freude ist, dass sie unverkennbar wirklich sind und darum dem Menschen, der sie erlebt, ein Prüfstein für Wirklichkeit an die Hand geben.“

(Screwtape in seinem 13. Brief an seinen Neffen Wormwood aus: C.S. Lewis, Dienstanweisung für einen Unterteufel, Freiburg, Herder, (Herderbücherei), 20. Aufl. 1979, S. 58 [copyright: Verlag Herder Freiburg im Breisgau 1975; Herder Freiburg – Basel – Wien].)

Den traditionellen Gattungsbezeichnungen in der Psalmenforschung folgend, sind die Klagepsalmen die weitaus zahlreichsten im Psalter. Unterteilt man noch einmal in Klagelieder der Gemeinde und Klagelieder der/des Einzelnen, so überwiegen letztere. Auch diese sind im gottesdienstlichen Vollzug verankert, wie einige „Überschriften“ erkennen lassen, die eine bestimmte zu singende Melodie oder eine bestimmte Art des Vortrags für das entsprechende Lied festlegen.. Aus ihnen wie auch aus dem Text selbst lassen sich unterschiedliche Umstände und Situationen erkennen, die Anlass zur Klage geben. Manche Psalmen wurden nachträglich Ereignissen aus dem Leben Davids zugeordnet.

Krieg, Verfolgung, Flucht, Vertreibung, Todesnot, Angst, Krankheit geben durch alle Zeiten hindurch Anlass zur Klage, wobei „Krankheit“ und „Verfolgung“ die zentralen Topoi sind. Auch der Zusammenhang beider wird thematisiert und verleiht z.B. Psalm 88 sein eigentümliches Gepräge. Für den von Krankheit Geschlagenen und von Todesnot Bedrohten kommt die schmerzliche Erfahrung der sozialen Marginalisierung hinzu; die FreundInnen und Vertrauten wenden sich ab, werden gar zu FeindInnen und tragen bisweilen deutliche Züge der „Verfolger“, die aus den Feind- und Fluchpsalmen bekannt sind. Den zugrunde liegenden Erfahrungen kommt bleibende Aktualität zu; Menschen zu allen Zeiten und an allen Orten können sie machen.

Etwas Zweifaches ereignet sich für die oder den vom Leid (welchen Ursprungs auch immer) Gezeichneten: er bzw. sie selbst nimmt die Umwelt nicht mehr in der gewohnten Weise wahr; genau wie die „rosarote“ gibt es eine „dunkelgraue Brille“; alles, was einst Freude bereitete, kann zum Quell des Schmerzes werden oder bleibt – im „günstigeren“ Fall – belanglos. Zugleich aber kann sich das soziale Umfeld der bzw. des Klagenden faktisch ändern. (Exemplarisch ist dieser Prozess im biblischen Buch „Hiob“ abgebildet, in dem sich überhaupt zahlreiche Klagelieder [aber auch andere Psalmengattungen] außerhalb des Psalters finden.)

Leiden bewirkt Vereinzelung; zum einen aus Angst vor „Ansteckung“, zum anderen aus dem immer noch geglaubten Zusammenhang von Tun und Ergehen. Meist steckt dahinter keine böse Absicht, sondern das tiefe Bedürfnis einer Erklärung für das Leiden. Die naheliegendste ist die Schuldzuweisung an das (schuldlos leidende) Opfer. Das Schicksal des Hiob und das Schicksal Jesu Christi bezeugen die Unzulänglichkeit dieser Erklärung.

Wenn aber die Leidenden sich ihr Leiden nicht selbst zuzuschreiben haben, ist dann nicht Gott der Verursacher des Leides? Diese Frage nach der „Rechtfertigung Gottes“ angesichts des Leides und des Unrechts in der Welt („Theodizee“) ist grundsätzlich nicht beantwortbar. Sie stellt sich in ihrer Radikalität nur im Monotheismus bei dem Glauben an einen gütigen Gott. Auch die Psalmen geben keine Antwort. Aber in ihrem Gebet kann aller Schmerz, alle Klage, jeder Zweifel vor Gott getragen werden. Hier kann auch die Hoffnung Ausdruck finden, dass wir im Letzten nicht verloren gehen und dass wir das Vorletzte bestehen können, denn das Leid/Übel ist kein logisches Problem, das gelöst werden soll, sondern ein existentielles, das bestanden werden will. Im Psalmengebet kann dieses Vertrauen spürbar und vielleicht sogar mitvollziehbar werden.

Aus dem Zusammenklang von subjektiver und objektiver Veränderung der (Er-)Lebenswelt der Leidenden/Klagenden erklären sich die „Fluchanteile“ in Klagepsalmen: die Vertrauten werden zu Verfolgern, die das Leiden zusätzlich erschweren; auch die Verzweiflung darüber darf im Gebet in Form eines „Fluches“ vor Gott gestellt werden, dem damit auch das Herbeiführen der Gerechtigkeit in die Hand gelegt wird. Dies geschieht im Vertrauen darauf, dass nur vergeben und erlöst wird, was offen vor Gott bekannt werden kann.

Für eine erste Annäherung an den tiefen Sinn auch der Fluchanteile in den Klage- und anderen Psalmengattungen kann eine „Spiritualisierung“ der verfluchten Feinde, Gegner, Verfolger hilfreich sein. Sie werden identifiziert mit allem, was hindert auf dem Weg zu Gott; dies können eigene innere Dispositionen oder von außen herangetragene Widrigkeiten („Versuchungen“) sein (die aber nur dann wirklich hindern, wenn sie in dieser Funktion zugelassen werden und damit doch zu inneren Dispositionen werden).

Dr. Kornelia Siedlaczek

Hier geht es zum Text „Abend auf der Karl-Johan-Strasse – Anmerkungen zu Munchs Bild“

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